Bericht eines ehemaligen Studierenden

30.11.2021

Wiedersehen macht Freude!

Unser ehemaliger Schüler Yakup Ipek (34) berichtet im ARS-Adler-Journal von seinen guten Erfahrungen in der Abendrealschule und dem strengen Schulsystem in der Türkei, von seinem persönlichen und beruflichen Werdegang in Deutschland und seinen Zukunftsplänen.

Immer gut gelaunt. Immer ein Lächeln im Gesicht und zu Scherzen aufgelegt. Immer fleißig und ehrgeizig. So haben wir Yakup Ipek in Erinnerung und seine positive Lebenseinstellung hat sich nach zehn Jahren auch nicht verändert. Stolz stellt er uns seine Tochter und seinen Sohn vor, die er zu unserem Treffen in die Schule mitgebracht hat. Seine Frau Yasmin, die mit ihm zusammen unsere Schule besucht und ebenfalls den Schulabschluss nachgeholt hat, freut sich ebenfalls, das Kollegium wieder zu sehen und hier zu sein. Es sind wichtige und emotionale Momente für uns alle, die zeigen, dass Schule nicht nur Unterricht und Noten bedeutet, sondern auch menschliches Miteinander, gegenseitige Wertschätzung und Respekt und gute Erinnerungen an eine unvergessliche Zeit.

Im weißen Hemd und modernen Sakko strahlt Herr Ipek Zufriedenheit und Selbstbewusstsein aus. Und er hat allen Grund dazu. Denn sein schulischer und vor allem sein beruflicher Werdegang haben es in sich.
Nach der Grundschulzeit in Deutschland haben seine Eltern sich entschieden, in die Türkei zurückzukehren. Dort musste er jeden Tag Schuluniform tragen, jede Woche die Nationalhymne zur Fahnenhissung singen und viele Gedichte auswendig lernen und vor der gesamten Klasse vortragen. Die staatliche Schule war eingezäunt, die Lehrkräfte sehr streng und haben Respekt und Gehorsam erwartet und eingefordert. Es war nicht üblich, ihnen zu widersprechen oder gar sich schlecht zu benehmen. Trotz dieser großen Unterschiede zum liberaleren deutschen Schulsystem hat er in der Türkei viele universal geltende Werte mitbekommen, die für seinen weiteren Weg von großer Bedeutung waren, nämlich Durchhaltevermögen, Disziplin, Fleiß, Lerneifer usw. Nachdem er das türkische Fachabitur mit Schwerpunkt Elektrotechnik in der Tasche hatte, kehrte er mit seiner Ehefrau Yasmin nach Deutschland zurück. Die Anerkennung ausländischer Schul- und Berufsabschlüsse gestaltet sich in Deutschland nicht leicht und sind mit hohen Hürden und Verlusten verbunden. Deswegen entschlossen sich beide, die Fachoberschulreife bei uns nachzuholen.

Die vielfältige Schülerschaft an der Abendrealschule, z.B. die unterschiedlichen Altersklassen, Mitschülerinnen und Mitschüler verschiedener Muttersprache und Herkunft sowie aus verschiedenen sozialen Schichten hat Herr Ipek als positiv und bereichernd empfunden. Alle hätten sich gegenseitig unterstützt und wären mit Respekt begegnet. Zu seinem ehemaligen Deutschlehrer Jörg Wisotzki habe er damals schon ein sehr gutes Verhältnis gehabt, das bis heute besteht. Mit der deutschen Rechtschreibung habe er Schwierigkeiten gehabt, Mathematik dagegen sei sein Lieblingsfach gewesen. Er habe sich an die etwas freieren Umgangsformen in Deutschland wieder gewöhnen müssen, dass hier beispielsweise Schülerinnen und Schüler mitreden, mitbestimmen und den Lehrkräften sogar widersprechen können. Er saß aber auch hier immer gerade und still auf dem Stuhl und schaute den Lehrkräften in die Augen.

“Ohne diese Schule wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Nicht nur die Schule, sondern die Lehrkräfte waren das Ausschlaggebende”, erzählt Yakup Ipek. Sie seien für die Studierenden immer da gewesen, wenn es schulische und sogar private Probleme gab. Sie hätten ihm das Gefühl gegeben, wichtig und willkommen zu sein. Die Atmosphäre sei immer freundlich und warmherzig gewesen. Besonders gern denke er an die Berlin-Fahrt. Sie sei etwas Einzigartiges gewesen. Auch das Super-Hostel in Berlin-Neukölln, das der damalige Klassenlehrer Jörg Wisotzki ausgesucht habe, sei einmalig gewesen. (Jörg Wisotzki kommt herein und muss schmunzeln, da es sich hier um eine etwas gewöhnungsbedürftige und nicht empfehlenswerte Unterkunft gehandelt hat. Die Ironie von Herrn Ipek hat er verstanden). Trotzdem hätten die gesamte Gruppe und die Lehrkräfte Sylvana Finke und Jasmin Hermesmann sehr viel gelernt und Spaß gehabt. Als gebürtige Berlinerin habe Frau Finke den Schülern viele Sehenswürdigkeiten und besondere Orte von ihrer Heimatstadt zeigen und Geschichten dazu erzählen können, was man als normaler Touri nicht so einfach zu sehen bekommt.

Die Fachoberschulreife war gebongt, aber wie sollte es weitergehen? Yakup Ipek fing an, in einem Logistikunternehmen zu arbeiten und meldete sich am Westfalenkolleg für den Bildungsgang Fachabitur an. Aber er merkte, dass er lieber eine Berufsausbildung machen würde. Schließlich konnte er bei der Deutschen Bahn eine Ausbildung zum Mechatroniker beginnen, die er mit einer 1,9 abschloss. Das Unternehmen übernahm ihn natürlich in ein geregeltes Arbeitsverhältnis als Instandhalter in Dortmund, bot ihm auch weitere Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich an. Er konnte sein Können unter Beweis stellen und wurde interner Ausbilder bei der Deutschen Bahn! Er ist jetzt ständig unterwegs, überwiegend in Berlin und bildet bundesweit neue Fachkräfte in schwerer Instandhaltung aus. Vor einigen Jahren habe er nicht mal im Traum gedacht, dass er es soweit bringen könnte. Sein Traumberuf wäre eigentlich Mathelehrer gewesen, aber auch in der jetzigen Beschäftigung sind mathematische Kenntnisse sehr nützlich und notwendig. Zusätzlich macht er berufsbegleitend den Industriemeister in Mechatronik, um sich auch weiterzubilden und zu qualifizieren. Mehr geht nicht!

“Den jetzigen Studierenden möchte ich mit auf dem Weg geben, dass sie sich anstrengen und ihre Motivation nicht verlieren sollen. Sie sollen die Schule und die Möglichkeiten wertschätzen und nutzen, die sie ihnen bietet. Ich habe auch bei Null angefangen und aus eigener Kraft meinen Weg in Deutschland gemacht. Durch die Unterstützung dieser Schule ist es mir gelungen, erfolgreich zu sein.”

Seine Freizeit widmet er überwiegend den beiden Kindern und seiner Frau Yasmin. Wenn etwas Zeit noch da ist, schaut er gern Science-fiction-Filme an und hört gerne Deutschrap, Apache 207 zum Beispiel. Mit Fußball könne er sich nicht mehr identifizieren, da er sehr kommerziell geworden sei. Jörg Wisotzki, der dazu gestoßen ist, erinnert sich auch gern an die Zeit mit Herrn Ipek und seiner Klasse. “Tatsächlich war das die erste Klasse, die ich in der Schule übernommen habe. Das ist für einen Lehrer immer etwas Besonderes. Herrn und Frau Ipek, die damals schon verheiratet waren, hatte ich im Fach Deutsch und in Geschichte. Es war eine ganz besondere Atmosphäre in der Klasse, ein gutes Miteinander und es sind auch Freundschaften später entstanden. Die Berlin-Fahrt war natürlich das Highlight, die uns allen in guter Erinnerung bleiben wird. Den Kontakt mit Herrn Ipek und einigen anderen Studierenden halte ich bis heute.